Das christliche Menschenbild
- eine kurze Einführung in eine heilsgeschichtliche Sichtweise -

von Winfried Rademacher

 

1. Der Mensch ist Geschöpf und Abbild Gottes.

Der Mensch ist ein eigenständiges Wesen. Er besitzt eine Persönlichkeit, Verstand, Erkenntnis und damit die Fähigkeit zur Entscheidung. Abbild Gottes zu sein meint Ähnlichkeit der Seele zu besitzen, nicht aber Kopie Gottes zu sein. So wie Kinder Abbilder ihrer Eltern sind, durch Vererbung und Prägung ähnliche Wesenszüge haben, ist der Mensch lebende 'Übersetzung' des lebendigen Gottes in seine Schöpfung.

Der Mensch ist als Gegenüber Gottes geschaffen, das heißt er ist in der Lage eine Beziehung zu Gott zu unterhalten, in der Gott der Erst-Handelnde ist. Auf Grund seiner Personalität besitzt aber auch der Mensch einen eigenen Stand und vermag aus eigener Kraft zu handeln, ist also nicht unbedingt von Gott abhängig. Dies hat zur Folge, dass er auch gegen Gottes Willen handeln kann:

2. Der Mensch ist Sünder.

Das klingt hart und wird oft falsch verstanden. Der Mensch ist als eigenständiges Wesen zur Freiheit berufen. Weil der Mensch selbstständig handeln kann, kann der diese Freiheit auch missbrauchen und etwa gegen die Schöpfung und damit gegen Gott handeln. Dies ist eine Folge der Abbildlichkeit des Geschöpfes vom Schöpfer: er besitzt nicht dessen absolute Wesenszüge und kann damit auch irren. Die Theologie spricht hier von der 'Kreatürlichkeit' des Menschen. Dies ist im christlichen Verständnis aber eher beruhigend als drohend gemeint: Weil ich nicht absolut (perfekt) sein kann, muss ich auch nicht so sein, sondern darf Fehler machen.

Diese prinzipielle Sündhaftigkeit des Menschen mag ihren Niederschlag gefunden haben in der Lehre von der Ursünde (Erbsünde). Dazu gehört aber auch noch ein weiterer Aspekt. Es gibt in der Welt Zustände, die an sich sündig sind, an denen aber kein einzelner Mensch Schuld trägt (zu denken wäre etwa an die herrschende Weltwirtschaftsordnung etc.). Weil niemand daran selbst schuldig ist, kann auch kein Individuum direkt etwas dagegen tun. man spricht hier von sogenannter strukturelles Sünde. Diese Aspekte machen deutlich, dass der Mensch nicht allein seine Sündhaftigkeit überwinden kann.

3. Der Mensch ist durch Jesus Christus erlöst.

Nach altem Verständnis ist der Tod eine Folge der Sündhaftigkeit. Dadurch, dass Jesus ohne eigene Schünde gestorben ist, hat er die Schuld der Menschen auf sich genommen. Durch die Überwindung des Todes in seiner Auferstehung ist damit auch die Sünde besiegt. Nach christlichem Glauben hat Christus damit durch seinen Tod und seine Auferstehung die Menschheit von der prinzipiellen Sündhaftigkeit erlöst.

Diese Erlösung ist ein Angebot an alle Menschen. Insofern damit verheißen ist, dass der Zustand der Sündhaftigkeit überwunden wird, ist das Reich Gottes bereits angebrochen (das nennt man auch die 'eschatologische Verheißung'). Die Vollendung des Heils ist aber ein endzeitlicher, von Gott zu bewirkender Akt, also ist das Reich Gottes noch nicht vollendet ('eschatologischer Vorbehalt'). Die Erwartung der Vollendung hat für den Menschen innerweltliche Konsequenzen.

4. Der Mensch ist als Hoffender auf dem Weg zur Vollendung.

Das Angebot der Erlösung erfordert die Annahme durch den Menschen. Diese Annahme geschieht in christlicher Sicht durch Glaube und tätige Nachfolge Christi. Die christliche Ethik erfordert dabei eine Grundhaltung des Menschen, die sich in Gottes- und Nächstenliebe ausdrückt. Durch die Annahme der Erlösungstat Christi gehört der Mensch de facto zu Kirche. Das äußere Zeichen dafür ist die Teilnahme an des Sakramenten, vor allem in der Taufe als Zeichen der Zugehörigkeit und der Entscheidung dafür und der Eucharistie als Zeichen der Vergegenwärtigung von Christi Tod und Leben.

Im Bewusstsein seiner Kreatürlichkeit ist der Mensch zur ständigen Reflexion seines Verhaltens gefordert. Die Möglichkeit des Fehlens im Handeln erfordert immer wieder Neubesinnung auf das Ziel und notwendige Umkehr (metanoia). Die Hoffnung der Christen beruht darauf, dass dem, der sich bewusst dafür entscheidet, das Reich Gottes sicher sein wird. Im Wissen um die eigene Unvollkommenheit (Kreatürlichkeit) ist das Bemühen - nicht der Erfolg - um rechtes Handeln entscheidend. Die fehlende Vollkommenheit wird letztendlich Gott richten, so dass das Reich Gottes, auf das wir warten, am Ende als die mächtige Tat Gottes bewirkt wird.