Ist der Papst grundsätzlich unfehlbar?

von Winfried Rademacher

Das Neue Testament (NT) schreibt Simon bar Jona, genannt 'Petrus', eine besondere Stellung zu (Mt 16, 13ff). Unter dem Druck der Naherwartung des kommenden Gottesreiches stattet ihn Jesus mit besonderen Vollmachten aus (Richter, Schlüsselbewahrer und Grund des neuen Reiches). Im NT ist aber keine Amtsnachfolge ausgesprochen. Diese entwickelt sich in der Tradition der Kirche, die dem Bischof von Rom (Zentrum der damaligen Welt) eine besondere Stellung im Dienst für die Einheit und Kontinuität der Gemeinde zuweist.

Das Wort von der «Indefektibilität» der Kirche meint, dass trotz ihrer vielen Schwächen und Unvollkommenheiten Christus seiner Kirche treu bleibt und sein Geist sie in der Wahrheit bewahren wird. Als Nachfolger der Apostel besitzen die Bischöfe diese Beistandszusage in besonderem Maße. Diese bezieht sich aber auf die Gesamtheit aller Bischöfe, das sog. Bischofskollegium, das damit nach dem Glauben der Kirche nicht aus der Wahrheit herausfallen wird; der einzelne Bischof kann durchaus irren (ein Bsp. dafür wäre etwa der traditionalistische Kardinal Lefèvre). Zudem glaubt die Kirche, dass der Geist (vor Irrtum) bewahrend wirkt, nicht dass er neue Offenbarungen verkündet.

Der Sinn einer solchen Entscheidung liegt darin, eine wichtige Wahrheit (neu) ins Gedächtnis zu rufen und hervorzuheben, einen Irrtum aufzudecken, unzureichend erkannte Konsequenzen ans Licht zu bringen und/oder deutlich zu machen, wie die Wahrheit auf zeitgenössische Fragen anzuwenden ist.

Die Verkündigung einer Lehr-Entscheidung die unter die päpstl. Unfehlbarkeit («Infallibilität») fällt, ist zahlreiche Bedingungen unterworfen:

Wenn der römische Bischof in höchster Lehrgewalt spricht, das heißt, wenn er seines Amts als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster, apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des römischen Bischofs sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich. (I. Vat. Konzil, 1870)

Das bedeutet:

  1. Die Unfehlbarkeit ist auf «ex cathedra» - Entscheidungen beschränkt (cathedra: lat. Lehrstuhl);
  2. Die Entscheidung muss sich auf Fragen der Glaubens- und Sittenlehre beziehen (nicht auf politische oder naturwissenschaftliche o.ä.);
  3. Der Papst muss sich im Konsens mit der Weltkirche befinden (das hat er erschöpfend zu überprüfen);
  4. Die Entscheidung dient dazu, einen in der Kirche unumstrittene Glaubenssatz für alle Zeiten zu bewahren (nicht einen neuen zu erfinden);
  5. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, muss das Bischofskollegium nicht mehr formal zustimmen.

Das Ergebnis einer solchen Ausübung des Lehramtes ist eine nicht mehr aufhebbare Sachentscheidung, die aber sehr wohl offen ist für neue Interpretationen und für ein besseres Sagen dessen, was gemeint war.

Die Aufgeregtheit, mit der diese - häufig missverstandene oder falsch zitierte - Konzilsentscheidung diskutiert wird, relativiert sich enorm, wenn man bedenkt, dass in den 120 Jahren, die seitdem vergangen sind, gerade zwei (!) Lehrsätze verkündet worden sind, die unter das Unfehlbarkeitsdogma fallen.